Zwölfmal Tomate

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Für das folgende Gericht habe ich mich von einem Rezept aus Jürgen Dollases Buch "Himmel und Erde" inspirieren lassen. Es handelt sich um ein "Sensorisches Ragout von der Tomate". Damit soll gezeigt werden, dass die Konsistenz, Textur oder auch Temperatur einer Zutat großen Einfluss auf den Genuss derselben hat. Um dies nachzuvollziehen, schlägt er vor, drei kleine Tomaten mit drei verschiedenen Temperaturen zu servieren: bei Zimmertemperatur, auf 60 ºC erwärmt, sowie eiskalt.

Ich habe mich nicht sklavisch an das Rezept gehalten, sondern einfach mit Zutaten losgelegt, die im Haus waren. Nach dem Anrichten habe ich noch einmal nachgezählt, ob es auch wirklich 12 Tomaten-Variationen sind. Im Gegensatz zu Rüdiger Hoffmanns "Acht Kostbarkeiten" hat es gepasst.

Hier also die verschiedenen Zubereitungen.


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Zwölfmal Tomate

1. Getrocknete Tomatenhaut

Vier kleine Datteltomaten am Stilansatz kreuzweise einschneiden und kurz in kochendes Wasser geben. In kaltem Wasser abschrecken und vorsichtig die Haut abziehen.
Die Haut bei 90 ºC ca. 10 min im Backofen trocknen.

2. Karamellisierte Dattel-Tomaten

Die geschälten Datteltomaten halbieren, in einer Pfanne etwas Waldhonig karamellisieren lassen, mit dunklem Balsamico-Essig ablöschen, dickflüssig einkochen und mit Salz abschmecken.
Die Tomaten auf der Schnittfläche in die Sauce legen und ca. 5 min darin vorsichtig schwenken. Sie sollen noch ihre Form bewahren.

3. Tomatensaft-Tabasco-Gelee

Etwas gemahlene Gelatine mit wenig Wasser quellen lassen. 100 ml Tomatensaft oder passierte Tomaten dazu geben und nun so lange vorsichtig erwärmen, bis sich die Gelatine komplett aufgelöst hat. Mit Tabasco, Salz und Pfeffer würzen, in eine kleine Flache Form mit Klarsichtfolie etwa 1 cm hoch einfüllen und im Kühlschrank erkalten lassen. Das Gel sollte nicht zu fest werden.

4. Tomatenconcassée

4 kleine Dattel-Tomaten vierteln, die Kerngehäuse vorsichtig herausschneiden (aufheben, denn dies ist Komponente Nr. 5) und das Fruchtfleisch zu feinen (3 x 3 mm) Würfeln verarbeiten. Kurz in etwas erhitztem Olivenöl schwenken. Mit Zitronenabrieb, Salz und Thymian abschmecken.

5. Tomaten-Kerngehäuse (siehe 4.)

Dollase empfiehlt, das Innere der Tomate als Einzelelement, da es viel Geschmack und Glutamat enthält. Es erinnert von der Optik her etwas an Froschlaich.

6. Tomatenschaum

Etwas Milch mit wenig Tomatensaft vermischen, so dass der Schaum noch fast weiß ist. Vorsichtig erwärmen und mit einem Pürierstab aufschäumen. Den oben aufliegenden Schaum zum Servieren abschöpfen. Noch schöner, weil schneeweiß, wird der Schaum, wenn man Lecithin-Pulver mit einer klaren Tomatenessenz mischt. Dazu den Tomatensaft über Nacht durch ein Sieb mit einem feinen Mulltuch laufen lassen.

7. Geeistes Tomatensüppchen

Eine Schalotte und eine Knoblauchzehe fein schneiden. In wenig Olivenöl anschwitzen. Etwas Tomatenmark sowie ein wenig Zucker hinzugeben und leicht anrösten. Mit Rotwein ablöschen und diesen verkochen. Tomatensaft angießen und 15 min köcheln lassen. Mit Salz abschmecken, durch ein Sieb passieren und kalt stellen.

8. Semmelbrösel in Tomatenöl geröstet

Etwas Tomatenöl in einer Pfanne erhitzen und die Semmelbrösel darin rundherum knusprig rösten. Auf einem Küchenpapier entfetten. Ich habe noch etwas klein geschnittene Tomatenhaut dazu gegeben. Als Tomatenöl eignet sich z.B. das Öl von darin eingelegten, getrockneten Tomaten.

9. Getrocknete Tomaten mit Oliven

2-3 weiche, getrocknete Tomaten in sehr dünne Streifen schneiden. Einige dieser Julienne beiseite legen (als Komponente Nr. 10). Aus den restlichen Streifen sehr feine Würfelchen schneiden. Auch einige Oliven (etwa gleiche Menge wie Tomaten) zu sehr feinen Würfeln zerhacken. Beides zu einer Art Tapenade (eine echte Tapenade besteht aus Oliven, Anchovies und Kapern) mischen.

10. Julienne von getrockneten Tomaten (siehe 9.)

11. Kleine Cherry-Tomaten auf 60 ºC erwärmt.

12. Kleine Cherry-Tomaten eiskalt (jedoch nicht gefroren).

Mit allen Komponenten habe ich wie auf den Bildern einen schönen Teller angerichtet. Die warmen Cherry-Tomaten lagen dabei in dem kalten Süppchen (also schnell servieren), die kalten Tomaten am Rand. Umgekehrt wäre dies natürlich bei einer heißen Suppe auch möglich.

À propos Suppe: da ich von allen Komponenten noch Reste hatte, habe ich diese zum Schluss in einen Topf gegeben und daraus eine schnelle Tomaten-Suppe gemixt. Das war sicher nicht im Sinne des Erfinders, hat aber gut geschmeckt.

Himmel und Erde von Jürgen Dollase

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Meine Frau und ich waren noch nie in einem Restaurant mit einem Michelin-Stern, aber einmal schon ganz kurz davor.

Mein Sohn war nämlich für ein paar Tage bei seinem Cousin in Hamburg, von wo wir ihn abholen wollten. Da hatten meine Frau und ich uns überlegt, die Fahrt mit einer Übernachtung in einem netten Hotel sowie dem Besuch eines guten Restaurants zu verbinden. Als ich alles zusammen gebucht hatte, offerierten wir unserer Tochter (7) unseren Plan. Sie sollte für eine Nacht bei Oma und Opa schlafen.
Sie reagierte, sagen wir, emotional labil. In etwa so, als hätten wir gesagt, dass Mama und Papa ohne Sie für 10 Jahre nach China auswandern würden. Erst ist ihr Bruder weg und dann auch noch wir.

Also alles wieder retour, Restaurant angerufen, Hotel storniert und Sohn mit dem Zug abgeholt.

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Jürgen Dollase, um dessen Buch es hier eigentlich geht, hat wahrscheinlich schon jedes hochdekorierte Restaurant Europas besucht. Vor einigen Jahren bin ich auf seine Kolumne "Esspapier" in der FAZ aufmerksam geworden. Darin erfährt man regelmäßig von interessanten Kochbuch-Neuerscheinungen jenseits des gerade aktuellen Vegan- oder Smoothie-Hypes. Er vergibt in seinen Kritiken bis zu drei Sterne, und wenn ein Buch eine gute Bewertung bekommt, kaufe ich das meistens ungesehen - zum Leidwesen meiner Frau, denn das eine oder andere Buch steht schon im Regal.

Nun hat der Kritiker selbst ein Kochbuch geschrieben. Ergänzt mit Informationen über seine Art zu Kochen und sein gastronomisches Weltbild.

Das Buch hat mich an eine dieser "Randgruppen-Sendungen" auf Fernseh-Sendern der hinteren Programmplätze (z.B. Arte oder 3sat) erinnert.
Dort habe ich nämlich einmal eine Dokumentation über Sterne-Köche gesehen. Herr Dollase saß allein mit Hündin und Frau in einem riesigen Saal im Hotel Traube Tonbach. Harald Wohlfahrt, der Koch des dazugehörigen Restaurants "Schwarzwaldstube", bereitete die verschiedenen Gänge zu. Nachdem nun das Menü verspeist war, betrat der 3-Sterne-Koch (die Sterne hat er seit über 20 Jahren) sichtlich nervös den Raum und empfing Dollases Analyse der Speisen.

Da sitzt also der vielleicht beste Koch Deutschlands Herrn Dollase samt Gattin und Hündin gegenüber, geht das eben servierte Essen noch einmal durch und notiert sich die Kritikpunkte. Eine schon etwas ungewöhnliche Situation.

Obwohl er nicht für den Guide Michelin arbeitet, scheint sein gastronomischer Einfluss also groß zu sein und dabei ist es wieder faszinierend zu sehen, zu welchem Perfektionismus man(n) es mit Leidenschaft für eine Sache bringen kann (-> klicken).

Zudem zeigt "Himmel und Erde" eine schöne Übersicht über die aktuellen Einflüsse der hohen Küche und ist gleichzeitig ein Leitfaden, worauf es Dollase beim Beurteilen eines Menüs ankommt. Das macht umso mehr Lust, auch einmal ein Sterne-Restaurant zu besuchen und dies nachzuvollziehen. Es ist auch ab und zu wichtig, als Food-Blogger nebenbei Sätze wie, "den Ziegenkäse meines Lebens habe ich in Pessac in diesem kleinen Bistro von Antoine Bouillabaisse gegessen" fallen zu lassen. Vielleicht nehmen wir unsere Kinder einfach mal mit.

Zwei interessante Schwerpunkte des Buchs sind übrigens zum einen der Bereich Sensorik, zum anderen die Nova Regio,also neue regionale Küche.

Bezüglich des ersten Punkts habe ich mich für meinen nächsten Blogeintrag von Dollases Rezept für ein "Sensorisches Ragout von der Tomate" inspirieren lassen. "Zwölfmal Tomate", da muss man erstmal drauf kommen.

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Die Nova Regio, also Speisen aus Dingen zuzubereiten, die man im Garten oder der näheren Gegend findet, hat dagegen meine Tochter interpretiert:

Bucheckern mit Gänseblümchen serviert in einer Muschelschale - als Kontrapunkt. Sensorisch ein Traum.

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Ein kleines Fazit:

Ein ungewöhnliches und interessantes Kochbuch. Der Stil ist vielleicht etwas trocken aber es bietet einen spannenden Einblick in Dollases kulinarische Welt. Einige Punkte kann ich zwar nicht völlig teilen (z.B. die extrem reduzierte Verwendung von Salz oder teilweise sehr klassische Herangehensweise an die Zubereitung von Fleisch) aber es ist trotzdem oder vielleicht gerade deswegen als Denkanstoß spannend.

Vielen Dank an den AT-Verlag, der mir ein Rezensions-Exemplar zur Verfügung gestellt hat.