Kohl-Fond

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Nach der prophezeiten kleinen Kälte-Welle, die uns noch bevor steht, geht es danach hoffentlich mit großen Schritten Richtung Frühling. So nutze ich die Temperaturen für kleine, den Winter vertreibende Kohl-Rezepte.

Der heute vorgestellte Kohl-Fond wurde inspiriert durch meine Kindheitserinnerung an den Geschmack einer Kohl-Roulade.
Darauf kam ich wiederum durch ein Gericht, welches wir vor ein paar Tagen bei unserem Besuch im Restaurant Aqua serviert bekamen. Beim probieren eines Kohl-Dashi-Suds habe ich mich gefühlt wie der Restaurant-Tester Anton Ego als ihm Rémy, die Ratte, mit einem Ratatouille in seine Kindheit versetzt.

Der Kohl-Dashi-Sud hat mich nachhaltig beeindruckt, so dass ich mit dieser Idee ein bisschen experimentiert habe.
Hier und heute geht es zunächst um die Essenz, sozusagen die Seele der Kohlroulade.

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Der Einfluss der japanischen Küche ist mittlerweile in vielen Restaurants angekommen und hat zum Glück die eingetretenen Sushi-Pfade verlassen. Dashi (das, der oder die Dashi?), eine klassische, japanische Brühe wird mit Bonito-Flocken und Kombu-Algen angesetzt. Der Bonito stammt aus der Familie der Thunfische und Makrelen und wird zunächst sehr aufwändig bearbeitet, bis aus ihm feinste Flocken gehobelt werden können. Ein Bearbeitungsschritt ist das mehrfache Räuchern des filetierten Fisch-Filets, gefolgt von langen Fermentations-Prozessen.

Ich bin mir nicht sicher, ob der Kohl-Dashi-Sud des Aqua-Gerichts mit den Zutaten des Dashi zubereitet wurde oder ob der Name nur an Sven Elverfelds Inspiration dazu erinnern sollte.
Der Sud schmecke fantastisch und zwar genau wie die dünne Sauce, die immer entstand, wenn bei der Zubereitung die Kohlrouladen scharf angebraten und dann lange geschmort wurden. Hierfür wurde nur etwas Wasser und Salz zugefügt.

So entstand also die Idee, aus Weißkohl und geräuchertem Schweine-Bauch einen Fond zuzubereiten. Also die europäische Dashi-Version. Weißkohl als Ersatz für Kombu-Algen und geräucherter Schweinebauch anstelle der Bonito-Flocken.

Im hier vorgestellten Kohl-Sud liefert der Kohl neben Umami auch einen großen Anteil an Bitterstoffen. Sie entstehen, wenn die Blätter verletzt werden. Dies aktiviert ein Enzym (Myrosinase), welches Glucosinolate in Glucose spaltet und instabile Schwefelverbindungen entstehen lässt, die in verschiedene kohltypische Aromen zerfallen. Ein ähnlicher Vorgang, der auch bei der Herstellung von Senf für dessen Schärfe verantwortlich ist.

Durch einen Trick lässt sich dieser Prozess abmildern: Der möglichst unverletzte Kohl wird im Ganzen gegrillt, bis die äußeren Blätter schwarz sind. Entfernt man diese, hat der Kohl zum einen die Röstaromen angenommen, zum anderen wird das Enzym durch die Temperatur deaktiviert. Der Geschmack des Kohls ist dadurch weitaus milder.*

* Mein Buchtipp: Aroma Gemüse von Vierich / Vilgis

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Kohl-Fond - Zubereitung

1 kleiner Weißkohl
100 g geräucherter Schweinebauch - grob gewürfelt
250 g Champignons
50 ml Soja-Sauce
1 l Wasser

Den Kohl halbieren, die dicken äußeren (oft nitrathaltigen) Blätter entfernen und eine Hälfte im Backofen unter dem Grill etwa 30 min. rösten. Die äußeren Blätter sollten kräftig gebräunt sein. Den Rest des Kohls für Krautsalat o.ä. verwenden.

Den Kohl in einen Schnellkochtopf geben und den Schweinebauch, die grob zerkleinerten Champignons, Sojasauce und Wasser zufügen. Den Deckel verschließen und alles bei vollem Druck 60 Minuten garen. Den Druck abbauen lassen.
Den Schnellkochtopf öffnen und den Fond durch ein Sieb gießen. Noch heiß in ein verschließbares, steriles Glas füllen und abkühlen lassen. Bis zur Verwendung maximal eine Woche im Kühlschrank aufbewahren.

Kohl-Jus aus Kohl-Fond als Sauce für ein Gericht

In einem Topf 2 EL Zucker kräftig karamellisieren lassen und 500 ml Fond dazu gießen. Auf die Hälfte reduzieren. Ein TL Stärke mit 50 ml kaltem Wasser mischen und nach und nach in den sprudelnd kochenden Fond geben bis die gewünschte Konsistenz erreicht ist. Zum Schluss optional etwas kalte Butter in die nicht mehr kochende Sauce mixen.

Ein Tipp:

Je häufiger der Kohl-Fond wieder aufgewärmt oder -gekocht wird, desto mehr verlieren sich die bitteren, kohltypischen Aromen. Dagegen verstärken sich herzhafte Umami-Noten. Deswegen schmeckten die nochmal aufgewärmten Kohlrouladen meiner Oma am nächsten Tag auch immer am besten.

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Menü mit 5 Geschmacksrichtungen - Dessert (bitter)

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Als Kind dachte ich, es gibt nur einen Weg, eine Pampelmuse zu essen: die halbierte Frucht wird mit einem spitzen Messer ringsherum und entlang der einzelnen Segmente eingeschnitten und dick, also richtig dick mit Zucker bestreut. Dann versucht man, die Pampelmusenfilets mit einem Löffel aus der Schale zu bekommen.

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Damals waren Pampelmusen auch noch richtig bitter und nicht so harmlos wie die heute verbreitete Grapefruit. Früher war überhaupt alles bitterer. Auch viele Gemüsesorten sind im Laufe der Zücht- und Kreuzungen milder geworden. So ist eine Grapefruit eine Kreuzung aus Orange und Pampelmuse, obwohl sprachlich nicht mehr so genau unterschieden wird.

Bitterer Geschmack ist nicht für jeden, der ihn schmecken kann, ein Genuss. Normalerweise warnen uns bestimmte Rezeptoren auf der Zunge vor bitteren Stoffen, da diese giftig sein können. Viele Kinder mögen daher auch keinen Brokkoli oder Rosenkohl.

Um einen bitteren Geschmack zu erkennen, stehen 25 verschiedene Rezeptor-Typen zur Verfügung. Die funktionieren im Prinzip wie ein Türschloss: der richtige Schlüssel, also Bitterstoff, öffnet sozusagen die Tür, so dass wir diesen Geschmack wahrnehmen. Sofern wir zu den Menschen gehören, die bittere Stoffe erkennen können.

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Bitterstoffe, wie zum Beispiel Glucosinolate, die für die schwefeligen Aromen von Kohl, Lauch oder Senf verantwortlich sind, dienen Pflanzen als Abwehr für Fressfeinde.
Bei Verletzung der Zellen, spalten sich die Glucosinolate in Zucker und einen schwefeligen Rest. Das erklärt übrigens auch, warum geschnittene Zwiebeln ihre Schärfe und Schwefelaromen verlieren, wenn man sie längere Zeit schmoren lässt. Dann tritt der enthaltene, frei gewordene Zucker mehr und mehr in den Vordergrund. Der Schwefel-Rest ist für tränende Augen und den oft unangenehmen Geruch verantwortlich.

Aber auch andere Pflanzen enthalten bittere Abwehrstoffe, die einen gewissen kulinarischen Reiz ausmachen können. So ist besipielsweise Absinthin, welches den Geschmack von Wermut verantwortet, ebenfalls ein glykosidischer Bitterstoff.

Mit Säure lässt sich bitterer Geschmack abschwächen, wenn dieser durch eine andere Stoffgruppe, den Polyphenolen angeregt wird. Das Ergebnis der Reaktion der beiden Stoffe kann von den Bitter-Rezeptoren nicht mehr so gut erkannt werden. So seltsam es also klingen mag: zusätzliche Zitronen- oder Milchsäure mildert die Oxalsäure-Wirkung von Rhabarber oder Sauerampfer.

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Ein bitteres Dessert für das Menü mit 5 Geschmacksrichtungen

Nach den bisherigen 3 Gängen (Vorspeise, Suppe und Hauptgericht) geht es heute also nach der kleinen Einführung um das Dessert.

Die im Dessert verarbeitete Grapefruit enthält sowohl verschiedene Glucosinolate (Naringin, Neohesperidin und Poncirin) als auch Polyphenole. Also gleich mehrere Bitterstoffe.
Wer das Dessert also massentauglich gestalten will, nimmt anstelle der Grapefruit lieber Orangen. Ansonsten wird die Grapefruit einfach nur filetiert.

Die Schokoladenmus, als zweite Komponente, enthält ebenfalls ganz spartanisch nur zwei Zutaten:

dunkle Schokolade mit mindestens 70 prozentigem Kakaogehalt (z.B. Valrhona Guanaja Noir 70%), sowie einen trockenen, gern tanninhaltigen Rotwein. Ein kleines Video zur Zubereitung, die extrem einfach ist, habe ich schon einmal veröffentlicht (-> klicken). Damals kam allerdings Glühwein neben der Schokolade in die Mousse.

Zusammen mit dem adstringierenden Rotwein, ist das Dessert insgesamt schon eine Herausforderung für den Gaumen. Und wem dies noch nicht reicht, der ergänzt das Alles durch ein bitteres Gel.

Rezept für ein Gel oder Perlen

400 ml bitteres Getränk (Bitter Lemon, Bier, Tonic Water, Campari oder Wermut)
5 g Agar Agar
1 g Xanthan (optional)

Alles zusammen glattrühren und einmal aufkochen. Dann abkühlen und im Kühlschrank schnittfest werden lassen. In einem Mixbecher glatt mixen (ohne zu viel Luft hinein zu mixen). Zum Servieren in eine Spritzflasche füllen.
Alternativ die noch warme Flüssigkeit mit einer Pipette in sehr kaltes Öl tropfen. So gelieren die Tropfen sofort zu kleinen Kügelchen, die von der Konsistenz an Forellen-Kaviar erinnern.

Um dem Dessert neben der bitteren Komponente schließlich noch einen Reiz des Trigeminus-Nervs zu verpassen, serviert man einen Espresso mit einem Hauch Chili. Sowohl bitter als auch Schärfe wird durch bestimmte Alkaloide (z.B. Coffein oder Capsaicin) verursacht. Deswegen ist das Spiel von Schokolade, Kaffee und Chili auch so interessant.

Bleibt nur noch ein süßer Abschluss des Menüs, um die fünf Geschmacksrichtungen zu vervollständigen. Was ist süßer als süß? Genau: Baklava!

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