Sternschuppen, Weinreisen und unmögliche Küchenaufgaben

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Champignon, Granny Smith und Petersilie - Restaurant Aqua


Die letzte Woche war kulinarisch unter anderem geprägt durch einen Besuch im Restaurant Aqua in Wolfsburg. Da ich jedoch Restaurant-Kritiken unglaublich langweilig finde, versuche ich hier und heute, alle weiteren im weitesten Sinne gastronomischen Themen, die mich in der letzten Zeit beschäftigt haben, zu verbinden; mehr oder weniger elegant.

"Meine Definition von Glück? Keine Termine und leicht einen sitzen."

Hätte Harald Juhnke damals "keine Termine und ein Fläschchen Château Le Pin" gesagt, wäre er sicher nicht als hochgradiger Alkoholiker* sondern als kultivierter Kenner bezeichnet worden. Wer trinkt schon teuren Wein der Wirkung wegen. Natürlich genießt man ein edles Tröpfchen nur wegen des Geschmacks. Was mich allerdings zu folgender Frage führt:

Wohin führt eine Weinreise, außer in einen leicht beduselten Schlaf?
Die sprachliche Assoziation zum "Trip" durch bewusstseinserweiternde Mittel ist doch nicht zufällig.

Wenn man in einem mit Sternen dekorierten Restaurant gefragt wird, ob der Sommelier die passenden Weine zu den 6-10 Gängen servieren dürfe, könnte man ehrlicherweise auch einfach sagen: "Ist egal, eine Flasche reicht. Wir wollen uns eigentlich nur einen ballern". Denn seien wir ehrlich, nicht nur die Fahrtüchtigkeit leidet nach dem Genuss von etwa einem Liter Wein.

Vielleicht bin ich aber auch nur ein wenig auf dieses Thema fokussiert, weil ich im Zuge der Fastenzeit seit drei Wochen auf Alkohol verzichte und bis Ostern noch ein paar Tage vor mir habe. Um so bewusster, ich möchte nicht sagen von Neid zerfressen, beobachte ich die alkoholtrinkenden Mitmenschen um mich herum.

So auch die kleine Gruppe am Nebentisch im Restaurant Aqua, die zum großen Menü auch die passende Wein-Reise bestellt hatten.

Apropos passende Weine: Glaubt wirklich jemand, abgesehen vom Sommelier, man könnte aus geschätzt einer Million verschiedener Weine mit einem variablenTemperaturbereich zwischen 10 und 20 °C dekantiert in tollkühn konstruierten Karaffen den einen und einzigen und am besten passenden Wein für den jeweiligen Gang auswählen? Dazu kommen noch weitere Faktoren wie Luftdruck und nicht zuletzt die jeweilige Situation. Daher macht es übrigens auch keinen Sinn, den Wein, der einem im Urlaub schmeckt, mit nach Hause zu nehmen.

Um das Thema Alkohol abzuschließen: Wir jedenfalls waren nicht wegen der Weinreise sondern des Essens wegen im Restaurant Aqua und dies war wieder einmal ausgezeichnet.
Im Gegensatz zu unserem letzten Besuch ist im aktuellen Menü ein deutlich japanischer Einfluss zu erkennen: Shiso, Dashi und Edamame*. Dies scheint sich als ein neuer Trend herauszustellen oder hat es sich mittlerweile schon etabliert? Um das zu beurteilen bin ich zu selten in Sterne dekorierten Restaurants.

* Edamame sind übrigens unreif geerntete Soja-Bohnen. Mit viel Einbildung schmecken sie leicht nussig und werden aus diesem Grund häufig als Erdnuss-Snack-Ersatz zum Bier gegessen. Im Aqua kommen Sie im Dessert zum Einsatz. Der Trend geht zum Dessert, dass kein Dessert sein will (darf).

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Aal & Lauch - Restaurant Aqua


Interessanterweise begegnete mir aber auch auf einem anderen Medium der Geist Nippons und obwohl der Sprung von einem 3-Sterne-Restaurant zum Krawall-Sender Vox ein recht gewagter ist, bietet sich hier Zeit und Gelegenheit, einen kleinen Exkurs in die schrille Welt der Unterhaltungsindustrie zu unternehmen:

Seit mittlerweile drei Staffeln gibt es die Sendung Kitchen Impossible mit Tim Mälzer.

Die Spielregel lautet: Lass einen Koch ein bestimmtes Gericht probieren und ohne weitere Informationen nachkochen. Hierfür steht die Küche, in der das Gericht zubereitet wurde zur Verfügung. Das Essen wird dann von Stammgästen des Restaurants probiert und bewertet.

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Litschi, Sardelle und Speck - Restaurant Aqua


In einer der letzten Folgen trat der 2-Sterne-Koch Tohru Nakamura gegen Mälzer an. Nakamura hat japanische Wurzeln und schickte Mälzer in das Land seines Vaters, um einen ganz speziellen Teller zu analysieren. Ein Gericht aus einem Kaiserlichen Menü.
Dieser sah auf den ersten Blick wie die Kreationen unserer Tochter aus, die sie im Sommer im Garten zusammenstellt: Kastanien, verschiedene Blätter und einige weitere Deko-Elemente.

Nach einem ersten Blick auf das Gericht des japanischen Kochs, sagte Mälzer, es wäre schreiend ungerecht, ihm dies als Aufgabe zu geben. Ein Koch müsse jahrelang lernen, wie diese Speise der japanische Hochkultur zubereitet werde.

Man kennt die Legende, dass ein Sushi-Koch erst sieben Jahre Reis kochen müsse, um dies perfekt zu erlernen. Häufig müssen Lehrlinge in Deutschland auch die ersten zwei Jahre ihrer Ausbildung Kartoffeln schälen, was allerdings nicht daran liegt, das dies eine so große Herausforderung ist. Aber das Gras ist immer grüner auf der anderen Seite.

Zurück zu dem Teller, der von Tim Mälzer nachgebastelt werden sollte. Er enthielt fünf Komponenten:

1. Ein kleiner Würfel aus Surimi, Algen und Ei.
Optisch ähnelte dies einem Stück Eierstich mit Petersilie.

2. Sushi-Reis mit einem Stück laut Mälzer extrem fischig schmeckender, in Essig eingelegter Makrele.

Ganz anders übrigens das Makrelen-Gericht im Aqua mit einer saftigen, überhaupt nicht fischelnden Makrele. Die Haut war dünn wie Papier und glasartig knusprig. Besser geht es nicht

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Bretonische Makrele, Kalbs-Vinaigrette, gezupfte Haxe, Zwiebelmayonnaise und Shiso - Restaurant Aqua


Doch weiter mit den Komponenten auf Mälzers Probier-Teller:

3. Ein Schälchen Dashi mit Enoki Pilzen.
Dashi ist im Prinzip eine Art japanische Instant-Suppe, die aus getrockneten Algen (Kombu), Bonito-Flocken, Soja-Sauce und Mirin gekocht wird. Dazu gab der japanische Koch ein verdächtiges weißes Pulver, das sehr an Mononatriumglutamat (E621) erinnerte.

Ganz anders übrigens im Aqua, wo zufällig auch ein Gericht mit Dashi serviert wurde. Das Arrangement hatte ich leider schon etwas zerstört, ehe mir einfiel, dass ich noch ein Foto machen wollte:

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Flusszander, Kohl-Dashi-Sud, Buchenpilze & Grünkohlpesto - Restaurant Aqua


4. Ein Stück Marone in Würfelform, gekocht in Zuckerwasser und gelb gefärbt mit Jasmin.
Dieser Würfel lag in einer Halbkugel aus einer Reismehl-Surimi-Masse in deren Oberfläche abgebrochene, grüne Somen-Nudeln steckten.

Das Arrangement sollte an eine offene Kastanien-Schale erinnern. Für die Zubereitung wurde zunächst ein Stück Rettich zu einer Kugel geschnitzt, auf diese die Surimi-Paste geschmiert, welche schließlich mit dem Nudelbruch frittiert wurde. Klingt wirklich nach japanischer Hochkultur.

5. Eine angeblich zu einer Chrysantheme geformte Masse aus Schmelzkäse und Süßkartoffel.
Weil es so schön ist, wurde auch diese Masse mit Jasmin gelb gefärbt. Dazu etwas Lachsrogen. Das Objekt erinnerte eher an einen Mini-Kürbis als an eine Chrysantheme.

Das Ganze wurde von Mälzer mit "Perfektion, Handwerk. Ästhetik" beschrieben. Ob nun Surimi, E621 oder der Schmelzkäse damit gemeint war, bleibt allerdings unklar.

Zum Thema Perfektion noch eine Impression aus unserem Menü im Aqua:

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Zitrone, Salbei, Topinambur, Röstsud & Edamame - Restaurant Auqa


Meine Lieblings-Aussage zum Abschluss der Sendung kam jedoch von einem der Testesser, der die nachgebaute Version von Mälzer probierte:
"Die japanische Küche ist sehr visuell, so dass 2-3 mm Unterschied beim Anrichten der Zutaten ein Gericht zunichte machen können."

Wahrscheinlich müssen die Reiskörner beim Sushi auch alle gleich ausgerichtet werden. Dann kann man natürlich verstehen, warum die Ausbildung zum Sushi-Koch sieben Jahre dauert.

Vielleicht muss man aber auch nicht alles verstehen. Wer wirkliche und nachvollziehbare kulinarische Perfektion erleben möchte, sollte einfach einen Besuch im Aqua in Erwägung ziehen. Allein die Praline mit Passionsfruchtfüllung ist schon eine Reise wert. Auch ohne Wein.

* Ein mäßiger und gesundheitlich vertretbarer Alkoholkonsum umfasst bei erwachsenen Männern 24 g reinen Alkohol pro Tag an nicht mehr als 5 Tagen pro Woche hintereinander. Die Menge ist, je nach Alkoholgehalt, in 0,2 l Wein oder 0,4 l Bier enthalten. Frauen wird die Hälfte dieser Menge empfohlen.

Die WHO definiert starkes Trinken bei Männern als Konsum von 60 g reinem Alkohol pro Tag (etwas 1,5 l Bier). Auch hier gilt für Frauen die Hälfte. Eine französische Studie kommt zu dem Schluss, dass regelmäßiger Alkoholmissbrauch das Risiko für alle Demenzformen bei Männern wie Frauen etwa verdreifacht (->
Quelle).

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