Da könnt´ ja jeder kommen

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Einige Blog-Einträge zuvor hatte ich die zwei wichtigsten Regeln der Küche erwähnt:

Regel 1: Das haben wir schon immer so gemacht.
Regel 2: Das haben wir noch nie so gemacht.

Vergessen hatte ich die dritte Regel, die mir Arthurs Tochter verriet:

Regel 3: Da könnt´ ja jeder kommen!

Gerade für Quereinsteiger in die Gastro-Welt die vielleicht wichtigste Regel. Oft kommentiert von einem "Was macht er denn da nu wieder?"
Gefolgt von Regel 1 und so weiter und so fort.

Neben einer tendenziellen Unterdrückung neuer Einflüsse ist weniger offensichtlich, dass die Regeln Auswirkungen auf klassische Zubereitungen und Rezepte haben. Denn oft wurden die Rezepturen nur scheinbar immer schon so gekocht und es schleichen sich Veränderungen ein, die das Ergebnis mal mehr, mal weniger stark verändern.

Wenn ein Rezept immer nur von Person zu Person weitergegeben wird, verliert man schnell die ursprüngliche Idee aus den Augen. Das liegt übrigens auch an der Unart, ständig nur nach Gefühl zu kochen und nur sporadisch in entsprechende Kochanleitungen zu schauen.
Es hilft auch, wenn diese Notizen, möglichst konkret formuliert wurden oder werden; Ein überliefertes Familienrezept für einen Serviettenknödel verlangt beispielsweise nach so viel Mehl, "wie es braucht". Natürlich ist der Erfolg dann größtenteils dem Zufall überlassen.

Dabei gibt es wunderbare Rezept-Sammlungen und es lohnt sich allemal, hin und wieder darin zu stöbern. Der "Kochkunstführer" von Escoffier ist so ein Werk, gerade wenn es um traditionelle, französische Zubereitungen geht.

Erwähnt wird darin auch ein Hühnerfrikassee.

Verglichen mit der heute geläufige Zubereitung, fallen gravierende Unterschiede auf. Oder zerteilen Sie das rohe Hühnchen in Teile und garen es anschließend in der Sauce?
Genau so wäre nämlich die klassische Zubereitung eines Frikassees, denn dabei handelt es sich um ein Ragout von meist heller Farbe, für das das Fleisch zunächst portioniert (von franz. casser = kaputtmachen), bemehlt, in etwas Butter angeschwitzt (von franz. frire = braten) und anschließend mit zugefügter Brühe fertig gegart wird.

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Kennen Sie die Hühnerfrikassee-Variante, bei der das Fleisch eher die Anmutung von kurzen Zahnseite-Stücken hat? Das passiert, wenn das Fleisch sehr lange vorgekocht wird und anschließend in der Sauce noch einmal zu lange Hitze bekommt. Die ohnehin schon faserige Struktur fällt durch das Rühren in immer dünnere Fäden.
So gesehen, ist die klassische Zubereitung eines "Fricassée de poulet" nach Escoffier von Vorteil: Die Schenkel werden in zwei Stücke zerteilt und nur einmal sanft in der Sauce gegart. Beim Servieren ähnelt das Gericht somit eher einem Coq au vin, bei dem die Hühnchenteile ebenfalls mit Knochen und in größeren Stücken serviert werden.

Ein helles Ragout, für das Fleisch vorgekocht und anschließend in Sauce noch einmal erwärmt wird, ist bei Escoffier dagegen ein "Blanquette". Was wir heute gemeinhin zubereiten, ist also eher ein "Hühnerblanquette".

Abschließend lassen sich natürlich gute Gründe finden, warum es Sinn ergibt, das Hühnchenfleisch vorzukochen: Man erhält eine schmackhafte Brühe, die man sogar schon am Vortag vorbereiten kann. Und nur deswegen gleich den Namen des Gerichts zu ändern, ist vielleicht auch übertrieben. Das machen nur ausgesprochene Klugscheißer.

Ein gelingsicheres Rezept für ein leckeres Hühnerfrikassee, so wie wir das immer schon gemacht haben, finden Sie hier (-> klicken). Es stammt aus der Rezeptsammlung "Ich helf Dir kochen" von Maria Stuber, ein Buch, das unsere Familie seit Jahrzehnten treu begleitet.

Zum Hühnerfrikassee gibt es im Hause Kluske Langkornreis. Keine Kartoffeln, keine Nudeln. Denn die haben wir noch nie dazu gemacht.

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