Sternschuppen

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Das Wetter ist so düster. Da ich nur mit natürlichem Licht fotografiere, werden die Bilder momentan etwas dunkel.
Daher heute also kein besonderes Foto, nur symbolisch die Rechnung eines Restaurant-Besuchs.

Denn wir haben es geschafft!

Wir speisten in einem Lokal mit einem Stern. Unsere Kinder haben sich erbarmt und uns einen Abend frei gegeben (hier klicken, um unseren kläglich gescheiterten Versuch nachzulesen).

Die erste Hürde war also genommen und wir fuhren nach Wolfsburg ins Saphir, welches, seit letzter Ausgabe des Michelins, einen Stern trägt. Ein echter Sternschuppen, sozusagen.
Die zweite große Hürde beim Besuch eines Sterne-Lokals ist, ohne schlechtes Gewissen eine Rechnung von ca. 200 € für zwei Personen zu begleichen. Denn darauf muss man sich langsam vorbereiten. Wenn man Freunden davon erzählt, sagen die meisten, sie wären aus Prinzip nicht bereit, solch eine Summe für ein Essen auszugeben. Man kann es aber lernen. Komischerweise macht es vielen Menschen nichts aus, in einem Stadion inmitten von 50.000 Leuten zu stehen und alten Musikern dabei zuzusehen, wie sie alte Lieder spielen. Für 100 € pro Karte und mehr.

Das Wichtigste dabei ist, zu verstehen, wie ein solcher recht langer Abend abläuft und nach welchen Kriterien man die Speisefolge und auch das Ambiente beurteilen kann. Es geht ja nicht darum, satt zu werden.

Für uns war der Besuch eines kleinen, ambitionierten Restaurants namens "Zeitwerk" in Wernigerode ein erhellendes Erlebnis. Hier haben wir zum ersten mal ein Menü mit 5 Gängen sowie 3 "Grüßen aus der Küche" genossen. Diese Kleinigkeiten wurden uns sogleich als solche erklärt, da man uns möglicherweise ansah, dass wir diesbezüglich noch recht unerfahren waren. Vielleicht wollte man uns vor der Peinlichkeit bewahren, dass uns ein "Entschuldigung, aber das haben wir gar nicht bestellt" rausrutscht.

Natürlich kannten wir Menüs bestehend aus Vorspeise, Hauptgang und Dessert. So etwas bekommt man sogar in Vechelde. Im Zeitwerk hatten wir jedoch das Gefühl, in eine neue Welt einzutauchen. Wir fingen an, die Proportionen, Konsistenzen und Aromen der Speisen zu beurteilen und versuchten zu verstehen, warum ein bestimmtes Gericht so aufgebaut war, wie es vor uns stand.
Nach diesem wundervollen Abend stellte sich die Frage, was man noch besser machen müsse, um einen Stern zu bekommen, abgesehen vom Ambiente. Also beschlossen wir als nächstes den Besuch eines Restaurants mit Stern.

Das Menü im Saphir umfasste ebenfalls fünf Gänge, dazu gab es aber noch weitere fünf "Amuse-Gueule". Man könnte vielleicht zusammenfassend sagen, dass die einzelnen Gänge nicht so verspielt waren, wie in Wernigerode, eher etwas abgeklärt. Technisch natürlich auf sehr hohem Niveau, aber durch das Menü hinweg auch etwas langweiliger, zumal fast jeder Gang auf dem gleichen Teller angerichtet wurde.
Um nicht zu sehr ins Detail zu gehen, gab es vielleicht folgende, kleine Kritikpunkte:

- kein vegetarischer Gang
- viel Püree, viel Schaum
- grenzwertig große Portionen, bei insgesamt 10 Gängen hätten wir keinen weiteren mehr geschafft
- teilweise entsprachen die aromatischen Schwerpunkte nicht der Beschreibung der Speisen

Zum letzten Punkt vielleicht ein Beispiel:

Rehrücken / Petersilie / Aprikose / Five Spice

Bei diesem Gang fanden wir die Aprikose nur in winzigen Gel-Punkten auf dem Teller, die asiatische Gewürzmischung konnte man in der sonst sehr leckeren Sauce nur erahnen. An sich aber eine schöne Idee, anstatt mit Ente diese Aromen mit Reh zu kombinieren.
Bei dem Petersilienpüree handelte es sich um Petersilienwurzel, die jedoch nach Sellerie schmeckte und noch mit zwei Steckrüben-Türmchen garniert war. Man hätte es also eher mit "Wurzelgemüse" beschreiben können.

Durchweg hervorragend waren übrigens die Garpunkte des Fleisches, Fisches sowie der Krusten- und Schalentiere. Und obwohl das Menü, wie schon gesagt, recht Püreelastig war, war dessen Konsistenz unglaublich fein. Ich habe aber vergessen, zu fragen, mit welchem Mixer dort gearbeitet wurde. Vielleicht haben sie dort dieses Höllengerät aus der Schweiz, eine Fräse, die sich mit unglaublicher Lautstärke durch einen gefrorenen Block aus was auch immer arbeitet. Es heißt, man könne die Kerne der Himbeeren nicht mehr auf der Zunge spüren, würden sie mit diesem Gerät püriert werden.

Wie man merkt, sind wir schon richtig kleine Gastrokritiker geworden und haben uns ein bisschen gefühlt wie die Dollases.

Zum Schluss ein kleines Fazit.

Insgesamt hat der Besuch im Zeitwerk in Wernigerode einen bleibenderen Eindruck bei uns hinterlassen. Das könnte natürlich auch daran liegen, dass es sozusagen das "erste Mahl" mit großer Menü-Folge für uns war. Wenn man auch noch die Preise vergleicht, geht das Zeitwerk als klarer Preis-Leistungs-Sieger hervor. Es lohnt also, nicht nur danach zu gehen, wie die großen Gastro-Führer bewerten, sondern einfach einmal zu hören, was sich in der näheren Gastronomie-Szene so regt. Da muss man in Niedersachsen natürlich schon sehr gut die Ohren spitzen.

Von der technischen Seite her, fand ich persönlich das Menü im Saphir vielleicht sogar noch einen Deut spannender. Es hat mich an die Zeit erinnert, als wir damals beim Musik hören versucht haben, zu analysieren, was die einzelnen Instrumente spielen und welche Effekte benutzt wurden. Dabei darf man aber nicht vergessen, auch einmal seinen Kopf auszuschalten und einfach nur zu genießen. Man muss ja nicht aus allem eine Wissenschaft machen.

Solche Besuche haben übrigens einen gewissen Sucht-Faktor, denn wir planen schon den nächsten: auf der Liste steht die Ole Deele in Burgwedel und irgendwann natürlich auch ein Abend im Aqua.

Da fällt mir ein, wer ist eigentlich auf die Idee gekommen, zu jedem Gericht einen anderen, angeblich besonders passenden, Wein zu servieren? René Redzepi vom Noma hat einmal gesagt, er müsse natürlich Wein verkaufen, da er an den Speisen nichts verdiene. Aber dies nur nebenbei.