Gedeih und Verderb

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Interessanterweise hat die durch Viren in die eigenen vier Wände verbannte Gesellschaft, auch im heimischen Umfeld eine große Leidenschaft für Mikroben entwickelt. Anders ist es nicht zu erklären, dass zu Beginn der Pandemie die Hefe-Päckchen ohne Sinn und Verstand aus den Supermarkt-Regalen geplündert wurden.

Schnell stellten die hefehortenden Hamsterer dann anscheinend fest, dass man

a) zum Backen nur wenig Hefe benötigt
b) aus einem winzigen Stückchen auch prima massenhaft Hefe züchten kann
c) noch nie viel gebacken hat und sich aller Voraussicht auch während des weiteren Lockdownverlaufs nicht die große Leidenschaft entwickeln würde.

In einem erlauchten Kreis hat sich das Experimentieren mit Mikroben, die zum Brotbacken geeignet sind, jedoch gehalten. Im Fokus der heimischen Forschung stehen selbst gezüchtete Sauerteige oder Hefewässerchen voll von Milchsäurebakterien und wilden Hefen. Darum ranken sich allerlei Legenden oder warum sonst wird von Sauerteigen berichtet, die ein methusalemhaftes Alter erreicht haben. Angeblich hegt und pflegt eine knapp 90-jährige Kanadierin einen Sauerteig, der 30 Jahre älter ist, als sie selbst.
Allerdings wird durch jahrzehntelanges Auffrischen des Sauerteigs von den ursprünglichen Mikroben nicht mehr viel zu finden sein. Doch der Reihe nach.

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Das Grundprinzip eines Sauerteigs ist einfach. Man vermischt Mehl aus Getreide oder Pseudogetreide mit Wasser, lässt beides eine Weile stehen und beobachtet, was passiert. Nach einigen Tagen bilden sich zahlreiche Bläschen im Teig. Sie entstehen durch zwei Gruppen von Mikroorganismen:

1. Hefe

Für die raumeinnehmende Expansion eines Sauerteigs sind in erster Linie verschiedene Hefen verantwortlich. Neben der bekannten Bier- oder Backhefe (Saccharomyces cerevisiae*), gibt es noch ca. 1500 andere Arten. Sie tummeln sich auf Pflanzen, Früchten aber auch auf unserer Haut oder anderen Oberflächen, ja sogar in unserem Körper.
Welche Hefen letztlich im Sauerteig landen, ist schwer zu beeinflussen. Bei einer Studie, in der verschiedene Sauerteige aus aller Welt untersucht wurden, fanden die Forscher ca. 70 verschiedene Stämme.
Manche Besucher des Teigs kommen und gehen und so ist es nicht sicher, dass nach einigen Jahren des Hegens und Pflegens noch die gleiche mikrobielle Bevölkerung im Sauerteig lebt.

Die einzige Möglichkeit, bestimmte Hefestämme kontrolliert in einem Teig anzusiedeln, ist, ihn mit einer Starterkultur zu infizieren. Man fügt also etwas entsprechende Hefe zum Ansatz hinzu. Eine reiskorngroße Menge reicht. Unter günstigen Bedingungen wächst diese Population so schnell, dass sie alle anderen unterdrückt oder zumindest klein hält.

Letztlich ist die unkontrollierte Ansiedlung der Hefe im Sauerteig also ein Glücksspiel, dass sich nur durch wenige Faktoren, wie Umgebungstemperatur, Standort oder das Zusammenspiel von Mikroben beeinflussen lässt. Bei letzteren handelt es sich neben Hefezellen hauptsächlich um Milchsäurebakterien.

2. Bakterien

Die Ansiedlung von Bakterien in einem Sauerteig läuft ähnlich ab, wie bei der Herstellung von Sauerkraut. Mit der Ausnahme, dass die Hefe möglichst nicht vollständig durch Bakterien verdrängt werden soll. Ansonsten hat ein Sauerteig keine Triebkraft, um Brot aufgehen zu lassen.
Auch bei den Bakterienstämmen gibt es erwünschte und unangenehme Gäste. Und auch hier sollen die netten, sympathischen Typen, die Störenfriede unter den Bakterien verdrängen.
Insgesamt kann man sich meist darauf verlassen, dass sich in der sauren Umgebung der durch Bakterien produzierten Milch- und auch Essigsäure pathogene Keime unwohl fühlen und unterdrückt werden. Durftet der Sauerteig also angenehm säuerlich und aromatisch, droht gemeinhin kein Krankenhausaufenthalt.

Das Zusammenspiel von Hefen und Bakterien

Die Entdeckung von Penicillin zeigt, dass die Koexistenz von Bakterien und Hefen nicht ganz so einfach ist und bestimmten Voraussetzungen unterliegt. Im Prinzip herrscht im Sauerteig ein Krieg um Rohstoffe (Kohlenhydrate). Durch deren Verarbeitung entstehen wiederum Ausscheidungen (CO2, Ethanol und Säuren), die ein möglichst unangenehmes Milieu für den Feind schaffen sollen. So bleiben schließlich nur die Kämpfer übrig, die es schaffen, sich den Begebenheiten anzupassen und diese zu tolerieren.
Das ist gut für uns Menschen, denn in der Regel sind die Gewinner der Schlacht für uns von großem Vorteil: neben einem komplexeren Geschmack sowohl hinsichtlich einer gesunden Ernährung, als auch mit Blick auf den Backvorgang mit Sauerteig.

Man muss also um die Herstellung eines Sauerteigs gar keinen so großen Zauber veranstalten. Die Mikroben werden das schon unter sich ausmachen.

Rezept für einfachen Sauerteig

Tag 1: 30 g Roggenvollkornmehl mit 60 ml Wasser in einem sauberen Glas (mind. 400 ml) mit Deckel mischen. 24 Stunden bei Zimmertemperatur oder auch etwas wärmer stehen lassen.
Tag 2: 30 g Roggenvollkornmehl und 60 ml Wasser dazugeben und unterrühren.
Tag 3: 30 g Roggenvollkornmehl und 60 ml Wasser dazugeben und unterrühren.

Am vierten Tag ist der Sauerteig bereit, verbacken zu werden. Einen Teil hebt man auf und füttert ihn wieder wie an Tag 2. Wenn man vorhat, längere Zeit nicht zu backen, kann man so viel Roggenmehl zum Sauerteig geben, dass eine relativ trockene Masse entsteht. So hält er sich mindestens 1-2 Wochen im Kühlschrank. Zum Aktivieren dann wieder etwas Mehl und Wasser zufügen, bis der Teig die Konsistenz von Pfannkuchenteig** angenommen hat. Jetzt bei Zimmertemperatur stehen lassen und weiter füttern, bis sich wieder Blasen bilden.

Ein Rezept für ein Roggenbrot habe ich hier (-> klicken) schon einmal veröffentlicht.

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* Saccharomyces cerevisiae - in diesem sperrigen Namen stecken drei wichtige Infomationen: Saccharo (lat.) = Zucker, Myces (griech.) = Pilz und Cervisiae (lat.) = des Bieres

** Genau genommen ist müsste es PfannkuchenMASSE heißen, denn der Wasseranteil ist größer als der des Mehls. Bei einem TEIG ist es umgekehrt.