Rock´n´Roll mit dem Messer

Zum Einstieg des Blog-Artikels ein kleines Video, das wieder einmal Sebastian sehr schön in Szene gesetzt hat. Darin sind verschiedene Schneidetechniken zu sehen, deren Einsatz immer abhängig von bestimmten Faktoren ist. Neben der Länge der Messerklinge ist es beispielsweise auch die Größe des Schnittguts oder des Bretts.


Heute geht es speziell um den Wiegeschnitt, im Englischen "rocking motion" genannt. Diese Schnitttechnik wird von Anfängern in der Küche nur selten angewendet. Vielleicht liegt es daran, dass der Bewegungsablauf ziemlich komplex ist. Damit ist zum einen die Hand gemeint, die das Messer führt, zum anderen aber auch die andere, die das Schnittgut hält. Aber es lohnt sich, das Schneiden einige Nachmittage mit einer Kiste Frühlingszwiebeln oder einem Sack Möhren zu übern, denn der Wiegeschnitt hat viele Vorteile:

- das Schnittgut wird zuverlässig durchtrennt
- die Gefahr, sich zu schneiden wird minimiert
- es sieht ziemlich lässig aus und man kann damit angeben

Was heißt denn Wiegeschnitt?

Zunächst eine Anmerkung zu der Bezeichnung "Wiegeschnitt". Genau genommen ist dieser Begriff für das Zerschneiden von Kräutern o. ä. mit einem Wiegemesser reserviert. Das ist eine sichelförmige Klinge mit in der Regel zwei Griffen. Man greift das Messer mit beiden Händen und wiegt es so lange hin und her, bis das Schnittgut wunschgemäß zerkleinert ist. Frontal betrachtet, ähnelt die Bewegung einer Babywiege oder einem Schaukelstuhl in Aktion. Im Folgenden Video simuliere ich den Zweiten Griff mit meiner linken Hand am Klingenrücken. Dabei ist diese Bewegung der wiegenden zwar ähnlich, sie wird jedoch im Bereich des Kehls, also am Griff, immer etwas unrunder. Ein so gebauter Schaukelstuhl würde nicht überzeugen.


Dazu kommt, dass ein Wiegeschnitt eher die Bewegung bezeichnet, die ich im Video nach der Schaukelbewegung zeige. Denn bei dieser die Technik, die jeder Koch in der Ausbildung lernt, wippt man nicht auf der Stelle, wie in einem Schaukelstuhl. Man schaukelt eher wie ein hyperaktives Kind.

Rock´n´Roll statt Schaukelstuhl

Die schon erwähnte, englische Bezeichnung "rocking motion" ist ebenfalls an das Hin und Her eines "rocking chairs" also Schaukelstuhls angelehnt.
Doch ein anderer, englischer Begriff trifft die Bewegung des Schneidens viel besser: "Rock´n`Roll" und zwar im direkt übersetzten Sinn von "schaukeln und rollen".

Man stelle sich vor, man würde bei hohem Seegang mit einem Schaukelstuhl auf dem nassen Holzboden wippen und rutschen. Man bleibt zwar auf dem Schiff, bewegt sich jedoch um einiges raumgreifender. Was man eben so macht, wenn man es kann.

Es überlagern sich somit zwei Bewegungen:

1. Das Messer wird im hinteren Bereich angehoben und wieder gesenkt. Die Bewegung ist ähnlich der eines Papierschneiders, bei dem die Klinge am vorderen Ende fixiert, am anderen mit einem Griff versehen ist.

2. Immer wenn sich der hintere Klingenbereich dem Brett nähert, wird das Messer auf einer geraden Bahn nach vorne geschoben. Beim Zurückziehen hebt man den Griff nach oben, der vordere Bereich hat immer Brettkontakt.

Geht das mit jedem Messer, Schnittgut und Brett?

Die beiden Bewegungsabläufe lassen es erahnen: sowohl das Schneidebrett, als auch das Messer, sollte für den Wiegeschnitt nicht zu klein sein. Bei flachem Schnittgut (siehe Video unten: Petersilie) kann man die Bewegung zwar auch mit einem kurzen Messer ausführen, ist das Schnittgut jedoch zu hoch für die Messerlänge (Sellerieknolle oder Lauch), ist es nicht mehr möglich, mit der Schneidenspitze ständig Kontakt zum Brett zu halten.


Dafür ist nicht jede Klingenform geeignet. Die wiegende, rollende Bewegung gibt vor, welches Profil einer Schneide, also der scharfe Bereich der Klinge, am besten passt: Über die gesamte Länge sollte sie keinen zu flachen Bereich aufweisen. Das würde die Roll-Bewegung abbremsen, vergleichbar mit einem Schaukelstuhl mit in der Mitte oder am Ende abgeflachten Kufen. Da macht das Schaukeln wenig Spaß.

Allerdings kann man auch mit einem Messer wiegen, das ein flaches Profil mit nur wenig Bogenverlauf hat. Entscheidend ist dann zum einen die Länge der Schneide, zum anderen die Spitze. Stellt man ein Messer sehr steil, also mit großem Winkel auf das Brett, kratzt die Spitze über das Brett. Es sei denn, sie ist abgerundet. Im folgenden Video ist ein Messer zu sehen, welches von einem chinesischen Kochmesser inspiriert ist. Die vordere Kante ist abgerundet, so dass das Messer auch im Wiegeschnitt sanft über das Brett gleitet.


Hat man nun diese Bewegung verinnerlicht, geht es zum zweiten, etwas komplizierteren Schritt. Es geht es darum, die Klinge über das Schnittgut zu führen. Hin und wieder sieht man Köche, die beim Schneiden das Messer auf der Stelle bewegen und das Schnittgut darunter hindurchschieben. Das mag mit einer nicht allzu langen Möhre, die mit dem Daumen unter der Schneide durchgeschoben wird noch funktionieren, bei einem Bund Kräuter oder einer Schlangengurke jedoch nicht mehr. Somit muss sich die Bahn, in der das Messer läuft, seitlich immer ein bisschen verschieben.


Die Schwierigkeit dabei: wenn ich das Schnittgut in sehr breite Stücke teilen möchte, muss die Schneide eine raumgreifende Seitwärtsbewegung vollziehen, ohne zu verkanten. Denn ein Verkanten schadet der Schneide. Also vollzieht das Messer beim Zurückziehen immer einen leichten Bogen. Im Video habe ich den Ton angelassen, man hört sehr schön, wie gleichmäßig die sehr dünne Klinge in einer sich verschiebenden Bahn über das Brett läuft.

Nun kommt die zweite Hand ins Spiel. Die Führungshand.


Diese Hand, die das Schnittgut hält, hat eine Menge zu tun. Mit Daumen und kleinem Finger wird das Schnittgut zusammen gehalten. Beide Finger sollten dabei immer hinter den übrigen Dreien sein.
Am ersten Gelenk des Zeige- oder Mittelfingers wird die Klinge geführt.

Daraus ergibt sich ein weiteres Merkmal, das ein für den Wiegeschnitt geeignetes Kochmesser aufweisen sollte:

die Klinge muss eine gewisse Höhe haben, damit der Kontakt zum Gelenk der Finger stets gegeben ist.

Die führende Hand gibt vor, wie breit die Scheiben oder Streifen geschnitten werden. Rutscht sie schnell über das Schnittgut, sind die Streifen breit, bewegt sie sich fast auf der Stelle, lassen sich sehr feine Streifen, z. B. Julienne oder Chiffonade, abschneiden.

Zum Verdeutlichen ein Video mit unterschiedlich lang geschnittenen Schnittlauchstücken:


Und zum Abschluss noch einmal etwas langsamer die Bewegung der linken Hand. Für einen kurzen Moment berührt die Flanke der Klinge das Gelenk des Zeige- oder Mittelfingers. Das Messer wird nie so hoch angehoben, dass die Schneide über dem Gelenk ist. Daumen und kleiner Finger sollten immer dahinter und alle Fingerspitzen nach hinten abgewinkelt sein. Man nennt diese Haltung auch liebevoll "Küchenkralle". So ist es (eigentlich) unmöglich, sich in Finger zu schneiden.

Viel Spaß und Erfolg beim Üben!