Himmel und Erde von Jürgen Dollase

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Meine Frau und ich waren noch nie in einem Restaurant mit einem Michelin-Stern, aber einmal schon ganz kurz davor.

Mein Sohn war nämlich für ein paar Tage bei seinem Cousin in Hamburg, von wo wir ihn abholen wollten. Da hatten meine Frau und ich uns überlegt, die Fahrt mit einer Übernachtung in einem netten Hotel sowie dem Besuch eines guten Restaurants zu verbinden. Als ich alles zusammen gebucht hatte, offerierten wir unserer Tochter (7) unseren Plan. Sie sollte für eine Nacht bei Oma und Opa schlafen.
Sie reagierte, sagen wir, emotional labil. In etwa so, als hätten wir gesagt, dass Mama und Papa ohne Sie für 10 Jahre nach China auswandern würden. Erst ist ihr Bruder weg und dann auch noch wir.

Also alles wieder retour, Restaurant angerufen, Hotel storniert und Sohn mit dem Zug abgeholt.

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Jürgen Dollase, um dessen Buch es hier eigentlich geht, hat wahrscheinlich schon jedes hochdekorierte Restaurant Europas besucht. Vor einigen Jahren bin ich auf seine Kolumne "Esspapier" in der FAZ aufmerksam geworden. Darin erfährt man regelmäßig von interessanten Kochbuch-Neuerscheinungen jenseits des gerade aktuellen Vegan- oder Smoothie-Hypes. Er vergibt in seinen Kritiken bis zu drei Sterne, und wenn ein Buch eine gute Bewertung bekommt, kaufe ich das meistens ungesehen - zum Leidwesen meiner Frau, denn das eine oder andere Buch steht schon im Regal.

Nun hat der Kritiker selbst ein Kochbuch geschrieben. Ergänzt mit Informationen über seine Art zu Kochen und sein gastronomisches Weltbild.

Das Buch hat mich an eine dieser "Randgruppen-Sendungen" auf Fernseh-Sendern der hinteren Programmplätze (z.B. Arte oder 3sat) erinnert.
Dort habe ich nämlich einmal eine Dokumentation über Sterne-Köche gesehen. Herr Dollase saß allein mit Hündin und Frau in einem riesigen Saal im Hotel Traube Tonbach. Harald Wohlfahrt, der Koch des dazugehörigen Restaurants "Schwarzwaldstube", bereitete die verschiedenen Gänge zu. Nachdem nun das Menü verspeist war, betrat der 3-Sterne-Koch (die Sterne hat er seit über 20 Jahren) sichtlich nervös den Raum und empfing Dollases Analyse der Speisen.

Da sitzt also der vielleicht beste Koch Deutschlands Herrn Dollase samt Gattin und Hündin gegenüber, geht das eben servierte Essen noch einmal durch und notiert sich die Kritikpunkte. Eine schon etwas ungewöhnliche Situation.

Obwohl er nicht für den Guide Michelin arbeitet, scheint sein gastronomischer Einfluss also groß zu sein und dabei ist es wieder faszinierend zu sehen, zu welchem Perfektionismus man(n) es mit Leidenschaft für eine Sache bringen kann (-> klicken).

Zudem zeigt "Himmel und Erde" eine schöne Übersicht über die aktuellen Einflüsse der hohen Küche und ist gleichzeitig ein Leitfaden, worauf es Dollase beim Beurteilen eines Menüs ankommt. Das macht umso mehr Lust, auch einmal ein Sterne-Restaurant zu besuchen und dies nachzuvollziehen. Es ist auch ab und zu wichtig, als Food-Blogger nebenbei Sätze wie, "den Ziegenkäse meines Lebens habe ich in Pessac in diesem kleinen Bistro von Antoine Bouillabaisse gegessen" fallen zu lassen. Vielleicht nehmen wir unsere Kinder einfach mal mit.

Zwei interessante Schwerpunkte des Buchs sind übrigens zum einen der Bereich Sensorik, zum anderen die Nova Regio,also neue regionale Küche.

Bezüglich des ersten Punkts habe ich mich für meinen nächsten Blogeintrag von Dollases Rezept für ein "Sensorisches Ragout von der Tomate" inspirieren lassen. "Zwölfmal Tomate", da muss man erstmal drauf kommen.

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Die Nova Regio, also Speisen aus Dingen zuzubereiten, die man im Garten oder der näheren Gegend findet, hat dagegen meine Tochter interpretiert:

Bucheckern mit Gänseblümchen serviert in einer Muschelschale - als Kontrapunkt. Sensorisch ein Traum.

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Ein kleines Fazit:

Ein ungewöhnliches und interessantes Kochbuch. Der Stil ist vielleicht etwas trocken aber es bietet einen spannenden Einblick in Dollases kulinarische Welt. Einige Punkte kann ich zwar nicht völlig teilen (z.B. die extrem reduzierte Verwendung von Salz oder teilweise sehr klassische Herangehensweise an die Zubereitung von Fleisch) aber es ist trotzdem oder vielleicht gerade deswegen als Denkanstoß spannend.

Vielen Dank an den AT-Verlag, der mir ein Rezensions-Exemplar zur Verfügung gestellt hat.

Origin von Ben Shewry

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Meine neueste Errungenschaft im Kochbuch-Regal stammt von Ben Shewry. Ein eher ungewöhnliches Kochbuch, da es weniger eine reine Rezeptauswahl als Sammlung kurzer Geschichten aus dem Leben und Werdegang des Kochs ist. Die verschiedenen Gerichte bieten dabei eine jeweils passende Ergänzung mit hervorragenden Fotos.

Neben Kunst, Musik und Literatur ist auch die Gastronomie zu einem stilprägenden Element unserer Zeit geworden. Umso mehr, wenn verschiedene Richtungen miteinander verbunden werden. So wurde Ferran Adria 2007 zur Dokumenta eingeladen und David Loftus, der Hausfotograf von Jamie Oliver, zählt zu den 100 einflussreichsten Fotografen aller Zeiten. Es geht also mittlerweile um mehr, als nur das Gericht auf dem Teller.

Eine empfehlenswerte Dokumentation ist in diesem Zusammenhang die Serie „Back of house“. In 6 Teilen wird über den australischen Künstler Jeff Martin berichtet, der 12 der besten Restaurants der Welt besucht und deren Küchen auf Leinwand gemalt hat.

Ebenfalls aus Australien bzw. Neuseeland stammt der Koch Ben Shewry. Sein Restaurant „Attica“ wird in der Liste der 50 besten Restaurants in diesem Jahr auf Platz 32 geführt und mit „Origin“ ist nun sein erstes Kochbuch auf deutsch erschienen. Wobei Kochbuch eigentlich das Wesen des Buches nicht genau trifft, denn es ist eher eine Mischung aus Erzählungen aus dem Leben Shewrys mit den dazu passenden Rezepten.

Dabei ist es immer wieder faszinierend zu sehen, was neben der europäischen Küche in der Welt passiert. Umso erstaunlicher, da ich in diesem Buch Rezepte entdeckt habe, die ich ähnlich auch aus meiner Kindheit kenne. Zum Beispiel die Kombination von Aal und Speck („Schweinebauch mit Kresse und Aal“) oder Spargel mit Butter und Aromen von geräuchertem Schinken („Spargel mit Buttermilch und Räucheröl“).

Wenn man, wie ich, eine Kindheit erleben durfte, in der noch richtig gekocht wurde, findet man Parallelen auf der ganzen Welt: ehrliche, gute Produkte und passende, erprobte Zubereitungen. Zudem waren Themen wir Ökologie und Nachhaltigkeit für viele selbstverständlich, da nicht jede Zutat durch das Jahr hindurch verfügbar war. Der Speisenplan wurde dementsprechend angepasst und es wurde möglichst alles verwertet. Heute glauben ja viele, ein Schwein bestehe nur aus Kotelett und Filet.

Andere Rezepte im Buch zeigen natürlich eine völlig fremde, kulinarische Richtung, geprägt durch Australiens Flora und Fauna. Gerade diese Spannung zwischen Tradition und Moderne, bekannten und unbekannten Zutaten macht das Buch aus. Insbesondere weil die Rezepte durch kleine Geschichten miteinander verbunden werden. Geschichten, in denen Shewry über den Tellerrand hinaus blickt und seinen Anspruch dokumentiert, stets nachhaltig, umweltbewusst und mit Blick auf gesellschaftliche Probleme zu kochen. Hier zeigt sich die Qualität des Buches, da es eben nicht nur um Gastronomie geht.

Letztlich erfährt man viel über die Motivation Shewrys, Koch zu werden und wie unglaublich steinig und zeitintensiv (105-Stunden-Woche) der Weg in die kulinarische Weltspitze ist.
Einen sehr schönen Hinweis gibt er in einer kleinen Erzählung über seinen ersten und ihn sehr beeindruckenden Restaurantbesuch im „Roxburgh Bistro“:

„[…]wenn man gut gegessen hat, bricht man sich keinen Zacken aus der Krone, wenn man sich dafür bedankt, aber für die Küchenbrigade ist das sehr viel wert.“

Das gilt übrigens auch für Zuhause.